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Notfallseelsorge ist für alle Menschen da
Thomas Jablowsky ist für die katholische Seite der Leiter der ökumenischen Notfallseelsorge im
Landkreis Rosenheim. Ein Gespräch mit dem Notfallseelsorger und Diakon über dessen Arbeit und
seinen Umgang mit den Erlebnissen. Ein Interview von Wanja Ebelsheiser.
° Herr Jablowsky, Sie sind seit 2015 in der Notfallseelsorge tätig. Wie kamen Sie zur
Notfallseelsorge?
Antwort: 2015 wurde ich zum Diakon geweiht. Die Diakonenausbildung ist relativ lang und wird
begleitet von anderen Diakonen, im sogenannten Diakonatskreis. Einer der Leiter dieses Kreises
war Hermann Sauer, der damals die Stelle vom jetzigen Leiter inne hatte, und hat als oberster
Notfallseelsorger der Diözese bei seinen Schützlingen für die Diakonenausbildung Werbung für die
Notfallseelsorge gemacht. Damit hat er bei mir offene Türen eingerannt. Ich hatte bereits vor der
Diakonenausbildung eine zweite Dienstprüfung absolviert, musste damit nicht nicht wie meine
Jahrgangskollegen eine zweite Dienstprüfung machen. Dadurch hatte ich genügend Zeit, um die
Ausbildung zum Notfallseelsorger zu machen, während die anderen ihre zweite Dienstprüfung
vorbereiteten. So bin ich reingerutscht in die Notfallseelsorge, auch weil im Landkreis Rosenheim,
meinem Einsatzort als Diakon, großer Bedarf vorhanden war.
° Wenn Sie zu einem Einsatzort gerufen werden, beispielsweise zu einem Autounfall, wie
können Sie da den Betroffenen konkret weiterhelfen?
Der Autounfall ist das Allerseltenste. Bei einem Autounfall sind die Leute meistens verletzt und
werden zunächst vom Rettungsdienst versorgt. Unverletzt Beteiligte, die nicht vom Rettungsdienst
versorgt werden müssen, gibt es eher in anderen Fällen, wie einem plötzlichen Todesfall oder
Suizid. Letzte Woche habe ich einer Familie beigestanden, wo sich die knapp 40-Jährige Tochter
suizidiert hat. Das sind viel häufigere Fälle als Autounfälle. In den acht Jahren meiner Tätigkeit bin
ich erst einmal auf die Autobahn gerufen worden.
Vor Ort müssen wir uns immer an die Situation anpassen. Grundlegend ist: Vor Ort bin ich erstmal
einfach da und habe Zeit für die Betroffenen. Alle anderen haben keine Zeit. Die Polizei muss die
Todesursache recherchieren, der Rettungsdienst muss die Verletzten versorgen, die Feuerwehr muss
das Gelände absperren, da bleibt keine Zeit für die Menschen, die da rumstehen und eigentlich
„nichts“ haben. Natürlich haben die etwas, nämlich eine große Betroffenheit und Sorge darum, wie
es weiter geht. Zu meinen Aufgaben gehört auch, eine Perspektive zu schaffen. Oft bin ich der
Berater und erkläre, warum man jetzt das Beerdigungsinstitut holen kann, oder warum jetzt auf
einmal die Polizei auftaucht. Oft bin ich Anwalt und Vermittler für die Betroffenen.
Außerdem helfe ich mit, soziale Ressourcen zu erschließen. Die Betroffenen sind mental
ausgeschaltet, die können in einer belastenden Situation nicht mehr richtig denken. Da muss man
den Menschen helfen, ihr Denken wieder in Gang zu bringen. Das Ziel unserer Tätigkeit besteht
darin, die Menschen zu aktivieren, ihre Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. Wie das
funktioniert, ist bei jedem anders.
Der letzte Punkt: Es gibt auch eigene Ressourcen der Betroffenen. Wenn ich in einem Gespräch
beispielsweise herausfinde, dass es dem Betroffenen wichtig wäre, seinen Hund zu streicheln, helfe
ich dabei, dass der Hund beikommt. Wenn ein Betroffener joggen gehen will, biete ihm zumindest
einen gemeinsamen Spaziergang an. So kommt der Betroffene wieder ins Reden und Handeln und
kommt so nach und nach wieder an den Punkt, alleine weitermachen zu können.
« Kommen die Betroffenen vor Ort aktiv auf Sie zu, oder müssen Sie an die Betroffenen
herantreten?
Es kommt beides vor. Es gibt solche, die anfangs noch meinen, niemanden zu brauchen. Wenn ich
mich dann aber drei Stunden später verabschiede, bedanken sie sich dafür, dass ich da war. Wenn
Leute sagen, sie bräuchten keine Kirche, sage ich denen: Ich bin erstmal als Mensch hier, nicht als
Kirche. Es gibt aber auch solche, die sofort anfangen, mit mir zu reden und sich über die
Unterstützung freuen.
« Was macht für Sie einen guten Notfallseelsorger aus? Was muss man mitbringen an
Fähigkeiten?
Man braucht Flexibilität, Improvisationstalent und eine richtig dicke Haut. Man darf nichts
persönlich nehmen, was in diesen Ausnahmesituationen gesagt wird, auch nicht von
Rettungskräften oder der Polizei. Dazu muss man die Grundlagen beherrschen, man braucht eine
solide Ausbildung. Man muss wissen, warum etwas passiert. Wissen, warum etwa der Leichnam
drei Stunden liegen bleiben muss, bis der zweite Arzt kommt. Oder warum die Polizei da ist und so
agiert, wie sie agiert. Dazu muss man kommunikationsfähig sein, im Umgang mit der Feuerwehr
und anderen Einsatzkräften. Nur so kann man als derjenige, der vor Ort richtig denken kann und
Zeit hat, das Richtige tun.
« Sie treffen als Notfallseelsorger auf sehr viel Leid. Wie gelingt es Ihnen, all diese
Erlebnisse zu verarbeiten?
Hierfür sind vor allem drei Punkte entscheidend. Erstens: mein Glaube. Da zu sein für andere, als
Diakon den dienenden Christus zu repräsentieren.
Zweitens: Supervision. Die braucht man im Ernstfall, wie damals, als ich aktiv um die
Unterstützung der Supervision bat, nachdem ich nach einem plötzlichen Kindestot erstmals in totes
Baby im Arm hielt. Das war richtig hart, aber da hat mir die Supervision herausgeholfen.
Gruppensupervision gehört bei uns sowieso ständig dazu.
Und drittens: Professionalität. Dazu gehört, eine professionelle Distanz zu wahren, und sich daran
zu erinnern, dass man selbst nicht Betroffener ist.
In der Pfarreiarbeit, in der ich ja auch noch tätig bin, hab ich jetzt beschlossen, vorerst keine
Beerdigungen mehr zu machen. Um nicht noch ein weiteres Arbeitsfeld mit Leid, Tod und Trauer
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