von Thomas Jablowsky
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28 Nov., 2020
Wieder einmal oder noch immer wird die Frage diskutiert, ob der Mensch als Mensch die Freiheit hat über sein Lebensende selbst zu entscheiden, also über Zeitpunkt und der Art des Sterbens. Viele Aspekte wurden und werden beleuchtet in Filmen, Diskussionen und Streitgesprächen. Es liegt mir fern hier die ganze Diskussion in allen Facetten aufzurollen, aber zwei Gedanken scheinen mir in der öffentlichen Diskussion zu wenig vorzukommen. Da ist zum einen die Endgültigkeit des Todes. Entscheide ich mich für den Tod ist das, bis auf wenige leicht konstruierbare Ausnahmen, die einzige, also tatsächlich einer der ganz wenigen Entscheidungen, die ich nicht nur nicht mehr zurücknehmen kann, sondern nicht einmal mehr bereuen kann. Die nicht revidierbaren Entscheidungen, etwa wenn ich mich entschließe würde einen Arm abnehmen zu lassen ohne einen triftigen medizinischen Grund, ermöglichen mir später die Einsicht, dass das eine falsche Entscheidung war. Viele andere falsche Entscheidungen im Leben revidieren wir, arrangieren uns damit oder akzeptieren sie irgendwann. Auf jeden Fall wird diese Erfahrung uns bei weiteren Entscheidungen, womöglich Entscheidungen aller Art, vorsichtiger machen oder überlegter handeln lassen. Wie schon gesagt, bei der Entscheidung für den Tod ist dies mehr als alle anderen Entscheidungen endgültig. Deshalb ist m. E. auch die Todesstrafe abzulehnen. Wer unschuldig einsitzt, kann bei Erkennen des Justizirrtums entlassen werden, wird in aller Regel auch entschädigt und hat zumindest die Chance und Möglichkeit auf einen Neuanfang. Wer irrtümlich hingerichtet wurde, … Nun könnte argumentiert werden, das wisse der Betreffende vorher, der Leidensdruck sei ja so hoch, etc. dass nur noch der Tod in Frage komme. Das sei ja wohl in der Freiheit des Einzelnen, hier die endgültige Lösung zu suchen. Außerdem gehöre da ja ganz schön Mut dazu, sich selbst zu töten. Ich denke das Gegenteil: Selbsttötung ist feige! Wer freiwillig aus dem Leben scheidet, drückt sich vor Verantwortung. Verantwortung ist nämlich die andere Seite von Freiheit. Eine Freiheit ohne Verantwortung ist reiner Egoismus. Der fehlgeleitete Freiheitsbegriff, wie wir ihn in der Corona-Pandemie bei Maskengegnern und Virusleugnern erleben, macht es uns gerade vor. Selbsttötung ist irgendwie immer Flucht. Vor übler Krankheit, vor Schmerzen, vor den Untiefen einer Depression, vor dem Bankrott der Firma, vor der Verantwortung in einer schuldhaften Situation, vor dem Grauen der Einsamkeit, vor was weiß ich noch nicht alles. Wer sich den Dingen, wie sie das Leben bringt, entzieht, entzieht sich der Verantwortung für das eigene Leben. Und dann ist da noch das Leben der Anderen. Keiner lebt für sich allein. Jeder sich noch so einsam fühlende Mensch steht in einem Beziehungsnetz. Denn ohne dieses Netz hätten wir gar nicht überlebt. Ohne dieses Netz wäre man gar nicht so weit gekommen, dass man sich nun vermeintlich entscheiden könnte für oder gegen den Tod. Bei der Begleitung Angehöriger von Menschen, die sich selbst getötet haben, kommt oft genug die Schuldfrage. Hätte ich nicht die Zeichen deuten können? Die Anspielungen verstehen? Den Tod verhindern? Suizid ist für Angehörige anders als ein gewöhnlicher Tod, meist viel schwerer zu begreifen. Bei der Freiheit geht es nie nur um die je eigene Freiheit. Wegen dieses Netzes, auf das der Mensch angewiesen ist, hat Freiheit ihre Grenzen immer an der Freiheit der Anderen. Wirklich frei sind Menschen nur gemeinsam. Wenn aber Freiheit und Verantwortung zusammengehören, wie Henne und Ei, unklar, was zuerst da war, was die Voraussetzung des je anderen ist, dann geht es immer auch um die gemeinsame Verantwortung miteinander und füreinander Eine globalisierte Welt führt uns das drastisch vor Augen. Klimawandel, Flüchtlingskrise, Armut dort und Reichtum hier. Wie kann ich frei sein, wenn für meine Freiheit im Winter Erdbeeren zu kaufen andernorts Menschen das, was sie lieber selbst essen würden, für den reicheren Teil des Weltmarktes hergeben müssen? Wo bleibt meine Verantwortung, wenn ich Orangen kaufe, deren Wasserverbrauch beim Wachstum Menschen das Wasser zum Leben genommen hat? Das sind scheinbar belanglose Beispiele, aber sie zeigen wie verwoben Freiheit und Verantwortung sind. Ernster wird es, wenn es um Mobilität geht oder Geschäfte mit Waffen, um nur einige wenige Stichworte zu nennen. Was hat das mit Selbsttötung oder gar begleitetem Suizid zu tun? Ich kann doch überhaupt nicht überblicken, wofür oder für wen ich profan gesprochen in dieser Welt noch wichtig bin. Jeder ist Teil eines Netzes, meist eines unsichtbaren Netzes. Wer begreift, dass Freiheit und Verantwortung zusammenhängen, kann nicht mehr von einer Entscheidung in Freiheit für den eigenen Tod sprechen, ohne es feige nennen zu können, sich der Verantwortung des Lebens zu entziehen. Außer …, ja es wird immer die Einzelfälle geben, die Moral und Jus und Religion sprengen. Wo es heroischen Mut im Übermaß verlangen würde das Leben auszuhalten. Trotz Schmerzmedizin, trotz hochqualifizierter Begleitung. Leben muss nicht künstlich verlängert werden. Aber noch weniger künstlich verkürzt. Denn davon gibt es kein Zurück. Aber manchmal hilft eben doch nur feige Flucht. Die sollte man aber nicht zum juristischen Regelfall machen.